GEDENKKULTUR IN SCHOPFHEIM

Gedenk-Kultur in Schopfheim

 Erste Stolpersteine in der Altstadt 


„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“ – Talmud

 

 

Das alte Haus in der Wallstraße 5 wurde seit Jahrhunderten von Schopfheimer Familien bewohnt. Anfang des 20. Jahrhunderts lebte dort eine jüdische Familie Auerbacher, Salomon und Berta, geb. Hirschel, mit ihren vier Kindern Klara (geb. 1894), Wilhelm (geb. 1897), Hilda (geb. 1899) und Bella (geb. 1903). Außerdem weitere jüdische Menschen. Wilhelm emigrierte mit seiner Frau Melitta, geb. Bloch, in die USA und baute sich dort ein neues Leben auf. Hilda emigrierte mit ihrem Ehemann in die Schweiz.

 

Bella und Klara und alle anderen noch lebenden Hausbewohnerinnen und Hausbewohner wurden unter der NS-Herrschaft in der sogenannten Wagner-Bürckel-Aktion am 22. Oktober 1940, zusammen mit 6500 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus Baden, der Pfalz und dem Saarland, in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich abtransportiert. Im Jahr 1942 wurden die noch Lebenden nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

 

Die neuen Bewohner des Hauses in der Wallstraße wollten an diese Menschen erinnern. Auf Anregung der Initiative Stolpersteine Lörrach gründeten sie im Januar 2021 die "Initiative Stolpersteine Wiesental", mit dem Ziel, im Herbst 2021 die ersten Stolpersteine in Schopfheim zu verlegen. Die ersten Stolpersteine wurden für Wilhelm, Melitta und Bella Auerbacher geplant.

 

Nachforschungen führten zunächst nach Ihringen zum jüdischen Friedhof. Danach nach Breisach ins Blaue Haus, einst jüdisches Schulhaus, nach der Zerstörung der Synagoge am 10. November 1938 ein Bethaus, heute eine Gedenk- und Bildungsstätte für die Geschichte der Juden am Oberrhein mit einer Dauerausstellung über jüdisches Leben in Breisach.

Im Deutschen Tagebuch-Archiv in Emmendingen wartete eine beeindruckende Entdeckung: In einer beachtlichen Sammlung von Tagebüchern von Hermann Glattes, der eine Drogerie am Marktplatz in Schopfheim besaß, fanden sich zwei Tagebucheinträge vom 22. und 23. Oktober 1940 (1):

 

22. Oktober 1940 - Ende des Abends um ½ 12 

Heute früh wurden die wenigen Juden, die wir hier hatten, von einem Transportauto abgeholt. Sie durften 100 Mark und 50 Pfund Gepäck mitnehmen. Alles andere Gut blieb zurück und wurde von Amts wegen versiegelt. Im Städtle erregte die Maßnahme, die ganz plötzlich kam, einen großen Menschenauflauf.

 

23. Oktober 1940 

Die Evakuierung der Juden macht mehr Aufsehen, als man nach der Plötzlichkeit der Ausführung der Maßregel erwarten konnte. Wie man unter der Hand erfährt, sind die hiesigen Familien zunächst auf dem Sammelplatz fürs Wiesental nach Lörrach gebracht und von dort nach Freiburg verfrachtet worden. Von dieser Zentrale aus ging es fort im Sonderzug weiter nach Südfrankreich. Ist das nächste Ziel wirklich Madagaskar? 

 

Der Mann, der die Idee der Stolpersteine seit 25 Jahren in europäischen und außereuropäischen Ländern verwirklicht, ist Gunter Demnig, ein Künstler aus Berlin. Die ersten Stolpersteine wurden von ihm 1996 in Berlin-Kreuzberg verlegt.

 

Am Abend des 19. Oktober berichtete er in der Alten Kirche St. Michael, wie im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung der Gedanke der Stolpersteine in ihm reifte.

Am Morgen des 20. Oktober verlegte Gunter Demnig die Steine, umrahmt von jüdischen Weisen, die von Andreas Wäldele dargeboten wurden. Schülerinnen und Schüler des Theodor Heuss Gymnasiums (THG) trugen Gedichte von Berthold Brecht und Erich Fried vor. Der Augenzeugenbericht von Heiner Schneegaß  (2) und der Tagebucheintrag von Hermann Glattes veranschaulichten das damalige Geschehen.

Sehr beeindruckend war, dass Ronny McMurray, ein Urenkel von Berta und Salomon Auerbacher und Großneffe von Wilhelm und Bella, zur Gedenkfeier aus Israel angereist war. Zusammen mit dem Landesrabbiner Moshe Flomenmann betete er in hebräischer Sprache für die Verstorbenen, die unsagbares Leid erlitten hatten.

Schülerinnen und Schüler der Friedrich-Ebert-Schule beschlossen den Akt mit dem Niederlegen von weißen Rosen.

 

Die Erinnerung an das begangene Unrecht soll wachgehalten halten und an künftige Generationen weitergegeben werden, damit sich solche Geschehnisse nicht wiederholen. Die Veranstaltung in Schopfheim möchte ein Beitrag dazu sein.

 

Auch für die kommenden Jahre plant die Initiative die Verlegung weiterer Stolpersteine für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Anregungen hierzu sowie interessierte Mitbürgerinnen und Mitbürger sind jederzeit willkommen. 

 

Quellen:

(1)  Deutsches Tagebuch-Archiv, Signatur DTA 3320

(2)  Schopfheim Jahrbuch 1986

 

Andrea Menne

Dr. Ingeborg Teipel

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